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07.02.2022 22:10

Als Amateur nach Peking oder der olympische Traum

 

Als ich letzten Sommer auf dem Instagram-Account der Langlaufschule Achensee die Posts über das Trainingscamp des mexikanischen Skilanglaufteams gesehen habe, hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich wollte wissen wie man als Mexikaner zum Skilanglauf kommt und wie man sich für Olympia qualifizieren kann. Ich hab mich auf die Suche gemacht und bin über einige Umwege an Jonathan „Jon“ Moreno verwiesen worden. Ich konnte Anfang Januar ein 1,5 stündiges Interview mit Jon führen. Ich war beeindruckt von seiner Disziplin, seinem Focus und seinen unbedingten Willen an Olympia teilzunehmen. Das ist das Schöne an Olympia, dass auch „Exoten“ wie Jon eine Chance bekommen an Olympia teilzunehmen und sich mit den Profis messen können. Frei nach der Formulierung Pierre de Coubertins: „Teilnehmen ist wichtiger als Siegen. “ Wir sprachen im Interview über seine Anfänge im Sport, seinen Trainingsalltag und wie er die Teilnahme finanziert. 

 

Am 11.02.22 um 08.00 Uhr (MEZ) startet Jon beim 15km Rennen im klassischen Stil bei Olympia, drückt ihm die Daumen.

 

Zur Person:

 

Jonathan „Jon“ Soto Moreno startet in Peking für sein Heimatland Mexico im Classic-Bewerb über 15km. Jon ist mit seinen Eltern als Teenager in den US-Bundesstaat Minnesota ausgewandert. Dort hat er die Liebe zum Langlauf entdeckt. Vor fünf Jahren hat er den Entschluß gefaßt, für sein Heimatland in Peking an den Start zu gehen.

 

Martin: Wer bist du und wo kommst du her?

 

Jon: Meine Name ist Jonathan aber jeder nennt mich Jon. Geboren und aufgewachsen bin ich im mexikanischen Bundesstaat Durango im Norden von Mexico. Als Teenager bin ich mit meinen Eltern nach Minneapolis in Minnesota (Anm.d.R :Heimat von Jessica Diggins, bekannte US Langläuferin) ausgewandert. In der High-School hab ich im Fußballteam gespielt und Leichtathletikbewerbe über 1,6km und 3,2 km absolviert. In der High-School, mit 15 Jahren, hab ich mit dem Skilanglaufen angefangen, um mich für die Leichtathletiksaison im Frühjahr in Form zuhalten. Mir hat das so Spaß gemacht, dass ich mich mit eigenem Material eingedeckt habe. Gestartet habe ich mit Skating, habe aber bald Rennen in beiden Stilen bestritten. Mit 17 war ich schon ziemlich schnell und hab nur um 10 sec. die Landesmeisterschaften verpasst. Während dieser Zeit hat auch mein Trainer in der High School gemeint, ich könnte doch für Mexico an den Olympischen Spielen teilnehmen. Wir haben uns letzten Herbst nach 10 Jahren wieder getroffen. Das war großartig. Während dem College und der Universität konnte ich aufgrund des Studiums und meinem Nebenjob nicht mehr so viel trainieren. Nach dem Studium hab ich wieder mit dem Training angefangen um mich für das American Birkebeiner Rennen in Wisconsin vorzubereiten(Anm.d.R :Der größte Skimarathon in der USA). Im „normalen“ Leben bin ich Projektmanager im Engineering-Bereich.

 

Martin: Wann hast du ernsthaft den Gedanken gefasst, an den Olympischen Spielen in Peking teilzunehmen?

 

Jon: Vor 5 Jahren auf der Fahrt zur Arbeit hab ich den Entschluss gefasst, beim mexikanischen olympischen Komitee anzufragen. Mehr als eine Absage konnte ich ja nicht bekommen. So hab ich die nette Dame am anderen Ende der Leitung gefragt was ich machen muss, um Mexiko im Langlaufen bei den olympischen Spielen repräsentieren zu dürfen. Die Dame hat mich an den mexikanischen Skiverband weitergeleitet. Der Verband hat mich bei der FIS gemeldet und mir weitere Informationen zur Qualifikation für die olympischen Spiele gegeben. Der Verband hat mir auch die Telefonnummer von German Madrazo (Anm.d.R.: German Madrazo war 2018 Fahnenträger des mexikanischen Teams und startete über 15km Skating) gegeben, der mir Tipps zur Qualifikation und zu Olympia gab und auch zu meinem Coach wurde. Die Arbeit mit ihm war großartig und hat einen großen Anteil an der Qualifikation für Olympia.

 

Martin: Du bist letztes Jahr in Oberstdorf bei der WM gestartet. War das schon die Qualifikation für Olympia oder wie funktioniert die Qualifikation genau?

 

Jon: Das Qualifikationsrennen in Oberstdorf bei der WM 2021 ist ein Teil der Qualifikation für Olympia. Ein nationales olympisches Komitee (NOK) kann Athleten mit weniger als 300 FIS Punkten zu den Spielen schicken. (Anm.d.R: Die Berechnung der Punkte erfolgt auch Basis des Erstplatzierten, den Rückstand auf den Erstplatzierten, usw. ). Bei dem Rennen starten Athleten aus Ländern die nicht im Hauptbewerb der WM startberechtigt sind. Die Ersten 10 des Qualifikationsrennen (auch „Exotenrennen“ genannt) durften auch beim Hauptrennen der WM starten. Ich habe mich nicht für das Hauptrennen in Oberstdorf qualifiziert, konnte aber das Fenster für Olympia öffnen.

Martin: Wie schaffst du den Spagat zwischen Training, Wettbewerbe und deinem Beruf?

Jon: Ich arbeite viel Remote und kann so das Training gut einplanen. Die Wettbewerbe muss ich über Urlaubstage abdecken. Aber die Möglichkeit Remote zu arbeiten erleichtert den Trainingsalltag erheblich.

 

Martin: Wie oft trainierst du? wie groß ist das Pensum?

 

Jon: Ich trainiere 3 bis 4 Stunden pro Tag. Intervalltraining Montag bis Freitag mit Ruhetag meistens am Freitag. Mein Tag startet um 5 Uhr am Morgen mit 1 Stunde Athletiktraining. Am Wochenende stehen die langen Einheiten auf dem Programm. Im Sommer teilt sich das Training ähnlich auf aber mit Skirollereinheiten in beiden Stilen, Laufen und Rennradfahren.

 

Martin: Hat sich deine Ernährung während der Vorbereitung auf Olympia geändert?

 

Jon: Ja dieses Jahr hab ich meine Ernährung umgestellt. Vor der direkten Vorbereitung auf Olympia hab ich mich so gesund als möglich ernährt. Am Ende der letzten Saison hab ich zusammen mit einem Sportmediziner meiner Ernährung umgestellt. Wir haben zusammen einen Plan für die drei Tagesmahlzeiten erstellt.

 

Martin: Nach der Olympiade wirst du dann ca. 500 kg Burritos verspeisen?

 

Jon: Richtig! Nach der Olympiade werde ich nach Mexico fahren und Tacos essen. Eine meiner Tanten macht hervorragende Burritos.

 

Martin: Wie ist der mexikanische Skiverband organisiert?

 

Jon: Der mexikanische Skiverband ist sehr klein und unterteilt sich in die Alpinskiabteilung und die Langlaufabteilung. Die meisten Mitglieder gehören der Sparte Alpinski an und sind auf der ganzen Welt verteilt. ( Anm. der R.: Der mexikanische Skiverband wurde 1981 von Hubert von Hohenlohe gegründet. ). In der Langlaufabteilung sind wir nur eine Handvoll Athleten die über die ganze Welt (Norwegen, USA, Canada, Österreich, Japan …) verteilt sind.

 

Martin: Wie schafft ihr über diese Entfernung einen Teamspirit zu bekommen?

 

Jon: Wie haben uns letztes Jahr das erste Mal am Achensee bei einem Trainingscamp getroffen, das vom Verband organisiert wurde. Und das Geniale war, dass fast alle Mitglieder am Camp teilgenommen haben.

 

Martin: Wie kommuniziert untereinander?

 

Jon: Wir nutzen ab und zu Videokonferenzen zum Austausch. Wegen den unterschiedlichen Zeitzonen funktionieren aber Chatdienste über Mobiltelefon besser.

 

Martin: Gibt es intern einen großen Wettbewerb unter den Athleten?

 

Jon: In Österreich haben sich 5 bis 6 herauskristallisiert die ein großes Potential haben. Ich bin der, der am längsten den Langlaufsport schon ausübt. Da hab ich natürlich einen Vorteil. Da Mexiko nur eine bestimmte Anzahl an Quotenplätze je Bewerb hat, kann nur der Athlet mit dem besten FIS Ranking teilnehmen.

 

Martin: Es ist also nicht möglich das wir bei Olympia 4 Mexikanische Langläufer am Start sehen werden?

 

Jon: Nein, dafür ist das Leistungsniveau bei uns noch zu niedrig und die Kosten für eine Teilnahme zu groß.

 

Martin: Wie hast du deinen olympischen Traum finanziert?

 

Jon: Den Großteil finanziere ich aus der eigenen Tasche. Die Reise nach Oberstdorf zur WM hab ich selber finanziert. Nach der Qualifikation für Olympia haben mich meine Freunde und Familie unterstützt. Einen anderen Teil habe ich über Fundraising finanziert.

 

Martin: Was kostet die Teilnahme an Olympia für einen Amateur?

 

Jon: Ich hab keinen Sponsoren, aber wenn ich im Kopf überschlage, komme ich für eine Saison auf ca. 20000 USD. Da ist aber alles eingerechnet, Material, Hotels, Transport, Flüge Meldegebühren, Visa, etc…

 

Martin: Wie viele Paar Ski hast du und wie machst du die Präparierung des Materials bei den Wettkämpfen?

 

Jon: Ich habe 10 Paar Ski. 5 für Skating und 5 für den klassischen Stil alle von Atomic (keine bezahlte Werbung!). Da bekommen ich gute Konditionen. Ich hab für jeden Temperaturbereich ein paar Ski. Bei den US Bewerben übernimmt mein Langlaufshop des Vertrauens die Präparierung. Bei den Wettkämpfen wie z.B. bei der WM oder Olympia helfen uns die großen Wachsfirmen vor Ort.

 

Martin: Was ist deine Lieblingstechnik und bei welchem Rennen wirst du bei Olympia starten?

 

Jon: Im klassischen Stil ist meine Technik besser als beim Skating. Welcher Stil mir besser gefällt ist schwer zu sagen. Es hängt von der Tagesverfassung ab und wie die Ski laufen. Diese Saison bin ich viele 10 und 15km Rennen gelaufen. Da kannst du ordentlich pushen und es ist schnelle vorbei (lacht). Aber auch eine Distanz wie beim Birkebeiner Race über 50km hat seinen Reiz. Bei Olympia werde ich beim 15km Klassik-Bewerb starten (Anm.d.R.: Start ist am 11.02.22 um 08:00 Uhr MEZ).

 

Martin: Musst du auch Dopingkontrollen machen und wie die Profis immer genau deinen Aufenthaltsort der WADA bekannt geben?

 

Jon: Nein, den Aufenthaltsort muss ich nicht bekannt geben. Aber es kommt immer wieder vor ,dass man nach den Rennen zur Dopingkontrolle gebeten wird. Die letzte Kontrolle war ca. vor 2 Monaten.

 

Martin: Wie seit ihr eigentlich auf die Idee gekommen am Achensee ein Sommer-Trainingscamp abzuhalten?

 

Jon: Organisiert wurde das das Camp von unserem Verbandspräsidenten. Und der Achensee ist es geworden, weil ein Teammitglied ganz in der Nähe lebt und er gute Kontakte zur Langlaufschule Achensee hat.

 

Martin: Wie sind die Trainingsbedingungen in Minnesota und generell in den USA? Gib es ein großes Netz an Loipen?

 

Jon: Wir haben in Minneapolis keine Loipennetze wie ihr hier in Deutschland oder Österreich. Bei uns sind in Parks Loipen gespurt. Wenn ich längere Distanzen laufen möchte, muss ich zu einem Nationalpark fahren wo Loipen gespurt sind. Nördlich von Minneapolis gibt es viele tolle Langlaufregionen.

 

Martin: Wie sind die Loipen bei euch präpariert? Bei uns wird in manchen Gebieten fast täglich gespurt, wie schaut das bei euch aus?

 

Jon: Bei uns wird auch täglich gespurt. Manche Regionen machen sogar Maschinenschnee.

 

Martin: Ist der Schnee bei euch anders als in Europa?

 

Jon: Ich war vor kurzem in Seefeld und ich würde sagen das bei uns der Schnee kälter und trockener ist. Bei uns ist es generell kälter als bei euch.

 

Martin: Wie ist das Corona-Konzept in Peking und hat dich Corona bei der Vorbereitung für Olympia eingeschränkt?

 

Jon: Ich bin komplett geimpft. In Peking werden wir täglich getestet und von den anderen Gruppen streng getrennt. Corona hat mich in der Vorbereitung nicht eingeschränkt da es ja ein Outdoorsport ist und hier die Einschränkungen ja gering sind.

 

Martin: Wann startest du nach Peking?

 

Jon: Am 17.01 gibt der Verband die Teilnehmer für Olympia bekannt. Ich habe davor noch einen Bewerb im Norden von Libanon (Anm.d.R.: ja im Libanon gibt es tatsächlich Schnee. Man kann dort am Morgen Schifahren und am Nachmittag im Mittelmeer baden). Danach fliege ich noch zur Flaggenzeremonie nach Mexiko. Ich werde so früh als möglich nach China anreisen um mich gut zu akklimatisieren und natürlich noch zu trainieren.

 

Martin: Jon, Vielen Dank für das interessante Interview, ich wünsche dir alles Gute! Bleib gesund und viel, viel Erfolg in Peking. Genieße die Zeit und nimm viele Eindrücke für uns mit. Es würde mich freuen wenn wir uns nach Olympia nochmal über deine Impressionen austauschen könnten.

 

Jon: Sehr gerne! Danke für das Interview!

 

Das Interview führte Martin Ladstätter von langlaufen-muenchen.de